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Proteste in China: Reporter unter Beobachtung

Foto: PETER PARKS/ AFP

Angst vor kritischen Berichten Chinas Polizei nimmt deutsche Reporter fest

Die Revolutionen in Arabien verunsichern auch Chinas Machthaber: Polizisten in Peking haben mehr als ein Dutzend ausländische Korrespondenten, Fotografen und Kameraleute vorübergehend festgenommen. Vermutlich wollten die Behörden sie davon abhalten, über Demonstrationen zu berichten.

Peking - Unter den Festgenommenen waren die China-Korrespondenten von ARD und ZDF und ihre Kamerateams sowie ein Reporter der Nachrichtenagentur dpa. Ihnen wurde vorgeworfen, ohne Genehmigung aus der berühmten Haupteinkaufsstraße Wangfujing berichten zu wollen, wo am Sonntag zu "Jasmin-Protesten" aufgerufen worden war.

Einige Reporter beklagten ruppiges Vorgehen der Sicherheitskräfte in Uniform und Zivil. Ein taiwanischer Fotograf berichtete laut Hongkonger Presseberichten, er sei dabei verletzt worden.

"Das gesamt Material wurde gelöscht"

Die ARD-Korrespondentin Christine Adelhardt und ihr Kamerateam wurden nach vier Stunden wieder freigelassen. Auch andere Korrespondenten kamen nach Verhören und Belehrungen wieder frei. "Uns wurde gesagt, es gebe neue Vorschriften, dass an bestimmten Orten nicht ohne Genehmigung gedreht werden dürfe", sagte Adelhardt der Nachrichtenagentur dpa. Sie habe sich schriftlich entschuldigen müssen, dass sie davon nichts gewusst habe, bevor sie freigelassen wurden.

Der ZDF-Korrespondent Johannes Hano und sein Kameramann wurden am längsten von den Sicherheitskräften festgehalten. Sie kamen laut Informationen von SPIEGEL ONLINE kurz nach 13 Uhr MEZ frei. "Es geht beiden gut", sagte die Frau des Journalisten Jingyang Wang-Hano am Telefon. Wie seine ARD-Kollegen habe Hano eine Erklärung unterzeichnen müssen, um entlassen zu werden. "Er hat noch vor dem Dreh explizit bei einem Polizisten nachgefragt, ob es erlaubt sei zu filmen", sagte Wang-Hano. Der Beamte habe dies bejaht.

Dennoch sei er kurz darauf abgeführt worden. Von den Aufnahmen der Demonstrationen blieb nichts: "Das gesamt Material wurde gelöscht."

Johannes Hano berichtete nach seiner Freilassung, er sei zunächst geraume Zeit von Beamten der Staatsicherheit verfolgt und dann etwa sechs Stunden in einem Ortsamt festgehalten worden. Er habe in telefonischem Kontakt mit der deutschen Botschaft gestanden. Die Frage, ob er festgenommen sei, hätten die Polizisten verneint. "Ich durfte den Raum aber auch nicht verlassen", so Hano. "Es war reine Willkür."

Noch nie habe er in den vergangenen vier Jahren ein derartiges Aufgebot an Sicherheitskräften in der Öffentlichkeit gesehen, betonte der Korrespondent. "Das zeigt, dass die Regierung wirklich Angst hat."

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) kritisierte das Vorgehen der Polizei: "Ich bedaure diese Festnahmen. Ich bin auch sehr beunruhigt über diese Nachrichten", sagte er am Sonntag in Berlin. "Wir werden natürlich als deutsche Bundesregierung unseren chinesischen Gesprächspartnern unsere Sorge in einer passenden Weise auch zum Ausdruck bringen."

"Die Inflation bedroht die Existenzgrundlage der Menschen"

Auch in Shanghai kam es am zweiten Sonntag in Folge nahe dem Platz des Volkes zu friedlichen prodemokratischen Protesten, denen die Polizei mit einer neuen Taktik begegnete: Demnach pfiffen Uniformierte quasi ununterbrochen auf Trillerpfeifen, während sie versuchten, die etwa 200 Demonstrierenden von der Straße zu vertreiben. Journalisten wurden aufgefordert, sich von den Demonstranten fernzuhalten. In Peking fuhren Stadtreinigungsfahrzeuge die belebten Einkaufsstraßen auf und ab und sprühten Wasser, so dass die Menschen sich an die Häuserwände flüchteten.

Ein TV-Reporter von Bloomberg News wurde von Beamten in Zivil zu einer Befragung abgeführt. Auch chinesische Staatsbürger wurden vorübergehend festgenommen, mindestens zwei in Peking und vier in Shanghai, berichtet die Nachrichtenagentur AP.

Während die Demonstranten in Ägypten und Tunesien auch wegen Armut und Arbeitslosigkeit auf die Straße gehen, konnte China den Lebensstandard seiner Bürger durch den Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre deutlich verbessern, wenn auch nicht in allen Teilen des Landes.

"Die galoppierende Inflation bedroht die Existenzgrundlage der Menschen und könnte die soziale Stabilität gefährden", sagte Premier Wen Jiabao am Sonntag. "Wir müssen die übermäßigen Preissteigerungen in Grenzen und die Wohnungspreise auf einem angemessenen Niveau halten", so der Premier. Er versprach eine gerechtere Einkommensverteilung und Investitionen ins Sozialsystem. Die stark angezogenen Nahrungsmittel- und Wohnungspreise gehören Umfragen zufolge zu den Hauptsorgen der Menschen.

Wen Jiabao erwähnte die Protestbewegungen im Nahen Osten nicht, es ist aber kein Geheimnis, dass die chinesische Regierung fürchtet, die Demokratiebewegung könnte die Strömungen aus der arabischen Welt aufgreifen und auf die Barrikaden gehen.

Offiziell chatten, inoffiziell blocken

Kurios: Während Premier Wen Jiabao am Sonntag auf der Website der Nachrichtenagentur Xinhua mit Usern landesweit chatten wollte, hat der Aufruf zur "Jasmin-Revolution" die ohnehin hyperaktiven Internetzensoren im Land auf den Plan gerufen. Derzeit sind Schlüsselwörter wie "Jasmin", "Ägypten", "Libyen", "Tunesien" oder "Demokratie" in den Suchmaschinen blockiert. Twitter ist in China ohnehin geblockt und kann nur von wenigen erreicht werden. Aber auch im Ausland angesiedelte Dissidenten-Seiten wie Boxun werden derzeit verstärkt kontrolliert.

In einem offenen Brief hatten Organisatoren des Protestes auf boxun.com die Regierung aufgefordert, offener zu sein und sich von der Zensur zu verabschieden. "Die Proteste werden größer werden, wenn man diese Probleme nicht anpackt", hieß es in dem Schreiben an den Nationalen Volkskongress, der am 5. März seine Jahresversammlung abhalten wird.

Laut boxun.com gibt es Berichte über zahlreiche Journalisten, die landesweit in den vergangenen Monaten entlassen wurden, weil sie der Regierung zufolge "falsche Nachrichten" verbreitet hatten.

China verfügt mit seiner "großen Firewall" über eines der am besten entwickelten Zensur-Instrumente weltweit. Laut "Reporter ohne Grenzen" hat die chinesische Regierung der Bevölkerung mit wachsender staatlicher Kontrolle und "inakzeptablen Praktiken" schlicht einen Maulkorb verpasst. Peking wolle "jede Form von freier Meinungsäußerung" unterbinden.

ala/dpa/AP
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