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Benedikt XVI.: Päpstlicher Punktsieg in Berlin

Der erste Tag geht klar an den Geistlichen, meint Malte Lehming. Heute nun besucht Papst Benedikt XVI. das Augustinerkloster in Erfurt. Säkularisierung, Verfolgung: Warum er dort eine neue christliche Solidarität befördern muss.

Es kam, wie es kommen musste. Aus dem dicken, fetten Anti-Papst-Luftballon hat das Objekt des Furors, Benedikt XVI., nach nur einem Tag alle Luft entweichen lassen. Die deutsche Presse ist sich einig. Von einem „Jahrhundertereignis, um das mindeste zu sagen“, spricht die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. „Zeit-Online“ meint, der Papst habe „die Dogmatiker aller Lager beschämt“. Ebenso urteilt die „Welt“: Der Papst „hat seinen Kritikern ein veritables Schnippchen geschlagen“. In der „Süddeutschen Zeitung steht: „Die Kraft dieser Kirche zeigt sich in der Vehemenz, mit der ihr Oberhaupt abgelehnt wird.“ Die „Berliner Zeitung“ würdigt die Bundestagsrede als „Dialogangebot eines katholischen Intellektuellen an die säkulare Welt“. Lediglich die „tageszeitung“ grämt sich noch ein wenig über die „ambitionslose Rede“.

Von wegen ambitionslos! Mit der ihm eigenen rhetorischen Raffinesse hat Papst Benedikt XVI. im Bundestag den Schöpfergott als Bedingung aller Moral, der Menschenrechte und der Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht postuliert. In Auseinandersetzung mit den Lehren des österreichischen Rechtsgelehrten Hans Kelsen hat er die Idee einer schöpferischen Vernunft – Creator Spiritus – verteidigt, ohne die es keine Normen in der Welt gäbe. Und in der abendlichen Messe im Olympiastadion hat er indirekt jene zur kirchlichen Ordnung gerufen, die sich auf die Missbrauchsfälle, die Ablehnung der Homosexualität und das Ehescheidungsverbot konzentrieren („Wenn dann auch noch die leidvolle Erfahrung dazukommt, dass es in der Kirche gute und schlechte Fische, Weizen und Unkraut gibt, und der Blick auf das Negative fixiert bleibt, dann erschließt sich das große und tiefe Mysterium der Kirche nicht mehr.“)

Wieder einmal wird deutlich: Der deutsche Papst ist kein deutscher Papst. Benedikt XVI. ist das Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken weltweit. Das Christentum aber wächst nicht bei uns, sondern in Afrika und Asien. Über Deutschland herrscht jene „Gottesfinsternis“, die der Papst zuletzt auch beim Weltjugendtag in Madrid beklagte. Hier schrumpfen die christlichen Gemeinschaften, das säkulare Umfeld wird größer und äußert sich mitunter gar aggressiv atheistisch. Gleichzeitig nimmt das gesellschaftsprägende Gewicht des Islam zu. Daraus entsteht für Christen ein doppelter Rechtfertigungsdruck – gegenüber der wachsenden Religionsferne und der wachsenden religiösen Konkurrenz. Aus Traditionschristen werden Entscheidungschristen, heißt es mitunter. In die Entscheidungen für den christlichen Gott aber fließt in erster Linie das Bekenntnis zu einer Tradition ein.

Wer geglaubt hatte, der deutsche Papst müsse bei seinem Deutschlandbesuch auf deutsche kulturelle Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen, hat daher von Anfang an die globale Dimension des Katholizismus verkannt. Eine germanozentrische Sicht auf den Pontifex verbietet sich. Harald Schmidt hatte das unlängst in einem Interview mit dem Tagesspiegel so ausgedrückt: „Der Papst kann nicht jede Stunde eine Meinungsumfrage in Auftrag geben, was jetzt gerade in Berlin-Mitte angesagt ist. Dafür haben wir Sigmar Gabriel. Bei 1,2 Milliarden Katholiken weltweit ist es einigermaßen unerheblich, wenn bei uns in Deutschland zwei Homosexuelle die Trauung verschieben, weil sie erst noch protestieren gehen wollen. Das kann Rom nicht weiter beunruhigen.“

Doch ist Deutschland auch das Land der Reformation. Heute wird der Papst das Augustinerkloster in Erfurt besuchen, in dem vor 500 Jahren (von 1505 bis 1512) der Mönch Martin Luther lebte und mit seinem Glauben rang. Und er wird sich - auf eigene Initiative - mehr Zeit, als ursprünglich geplant war, für Gespräche mit Vertretern der Evangelischen Kirche nehmen. Wenn überhaupt der Begriff „historisch“ für seinen Besuch angemessen ist, dann durch die Bilder von Erfurt. Heute ist der Höhepunkt der Reise. Benedikts ermutigende Schritte in Richtung Ökumene führen in die geistliche Zukunft. Der Marginalisierungsprozess der beiden großen christlichen Gemeinschaften in Europa muss zu einer neuen Solidarisierung führen, einer innerchristlichen Toleranz, zu einer Vertiefung der Gemeinsamkeiten.

Das gilt erst recht, weil in den global wachsenden christlichen Gemeinschaften (Asien und Afrika) die europäischen Trennungsmomente kaum eine Rolle spielen. Wer einen Hausgottesdienst in China oder einen Feldgottesdienst in Ghana besucht (Äthiopien ist ein besonderer Fall), wird Mühe haben, protestantische von katholischen Elementen zu unterscheiden. In synkretistischer Weise verweben sich dort meist Stammestraditionen, Charisma, Gospel und kulturelle Spezifika zu einer je einzigartigen Form.

Eine neue Gemeinschaft der Christen (einschließlich der Orthodoxen) ist notwendig auch durch die weltweite Verfolgung von Glaubensgeschwistern. Von den ursprünglich rund 1,2 Millionen irakischen Christen sind bereits mehr als zwei Drittel geflohen. Die Zurückgebliebenen leben in steter Angst. In Nordkorea sind Zehntausende Christen in Arbeitslager gesperrt. In einigen islamischen Ländern wird Apostasie mit dem Tode bestraft. Nicht allein in Saudi-Arabien kann es lebensgefährlich sein, in der Bibel zu lesen. Wenn nicht der gemeinsame christliche Glaube Gemeinschaft stiftet, was dann? Wer dagegen die Spaltung zementiert, schwächt den weltweiten Kampf für die Religionsfreiheit.

Es kann kaum ein Zufall sein, dass der Predigttext am vergangenen Sonntag – dem Feiertag vor dem Papstbesuch – bei Markus im 3. Kapitel steht. „Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben vor dem Haus stehen und ließen ihn herausrufen. Es saßen viele Leute um ihn herum und man sagte zu ihm: Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und fragen nach dir. Er erwiderte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“

Die Gemeinschaft der Heiligen ist größer als die der Katholiken, Protestanten und Orthodoxen. Sie umfasst mehr als Pfingstler, Evangelikale, Charismatiker, Freikirchler und Opus-Dei-Mitglieder. Das Projekt der großen christlichen Ökumene zu fördern in Zeichen der weltweiten Verfolgung, der europäischen Säkularisierung und der globalen Diversifizierung: Das ist die christliche Aufgabe der Gegenwart. 

Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags hat das Online-Portal "The European" veröffentlicht.

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