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Geplatzte Doku Balci, RBB und die doppelte Sarrazinade

Zensur oder Vertragsbruch? Der RBB hat der TV-Journalistin Güner Balci einen Film über Thilo Sarrazin abgesagt, nachdem sie zuvor für das ZDF einen umstrittenen Beitrag über den Ex-Bundesbanker produziert hatte. Der Berliner Sender bestreitet, dass politische Motive eine Rolle gespielt haben.
Güner Balci: Hochbegabte TV-Journalistin, vom RBB "demontiert"?

Güner Balci: Hochbegabte TV-Journalistin, vom RBB "demontiert"?

Foto: dapd

Hamburg/Berlin - Ein Thilo Sarrazin, zwei Sender, viele Fronten: Die Journalistin Güner Balci, deren ZDF-Beitrag über einen Kreuzberg-Besuch des umstrittenen Publizisten in der vergangenen Woche für Aufsehen sorgte, liegt im Clinch mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), der ebenfalls einen Sarrazin-Film mit Balci geplant hatte - und zwar schon vor Monaten.

Nachdem am vergangenen Freitag das TV-Stück über die vieldiskutierte Kiez-Visite im ZDF-Kulturmagazin "Aspekte" gelaufen war, entschloss sich der RBB am Mittwoch dazu, die geplante Sarrazin-Dokumentation nicht mehr zu Ende zu drehen. Der RBB-Film sollte im September laufen, gut ein Jahr nach Veröffentlichung von Sarrazins umstrittenen Bestseller "Deutschland schafft sich ab". Bei dem RBB-Film wäre Balci über die Produktionsfirma Lona Media als Ko-Autorin tätig gewesen.

Laut RBB sei entscheidend für die Absage, dass entgegen schriftlicher Abmachungen zuerst für das ZDF ein Magazinbeitrag erstellt worden sei, der vor der geplanten ARD-Doku ausgestrahlt wurde. Die Dokumentation "Thilo Sarrazin - ein Jahr danach" hätte Überschneidungen und Doppelungen mit dem bereits ausgestrahlten ZDF-Beitrag gehabt. Außerdem sei das Projekt auch dadurch belastet worden, dass Balci selbst zum Gegenstand der Debatte wurde.

"Das Thema war für uns verbrannt"

"Aspekte"-Redaktionsleiter Christhard Läpple vom ZDF sagte SPIEGEL ONLINE, man habe die Produktionsfirma bereits vor Beginn der Dreharbeiten zur RBB-Doku darüber informiert, dass das ZDF ebenfalls mit Balci einen Beitrag zu Sarrazin produziert. "Auch der Sendetermin im Juli war der Produktionsfirma bekannt", so Läpple. Diese Aussage lässt die plötzliche Absage des RBB erstaunlich erscheinen. Warum sagte der Sender die Doku erst ab, nachdem der ZDF-Beitrag für einen Eklat gesorgt hatte?

Andererseits gibt es seitens des RBB den Vorwurf der inhaltlichen Doppelung, den ZDF-Mann Läpple indirekt bestätigt: Man habe sich dazu entschieden, mit Sarrazin in Kreuzberg zu drehen, nachdem Güner Balci und Thilo Sarrazin für den RBB Neukölln besucht hätten und das sehr positiv verlaufen sei.

Güner Balci erklärte dagegen gegenüber der "FAZ", für den RBB habe sie in Neukölln lediglich ein verabredetes Treffen zwischen Sarrazin und einem Vertreter des Vereins "Türkische Väter" mit der Kamera begleitet. Ein Zusammentreffen Sarrazins mit Migranten, wie es für "Aspekte" in Kreuzberg gedreht wurde, habe die vom RBB beauftragte Produktionsfirma im Vorfeld dagegen ausdrücklich abgelehnt.

RBB-Sprecher Justus Demmer hält dagegen: Man habe den Beitrag für das ZDF nur mit der Auflage genehmigt, dass die Exklusivität des geplanten 45-minütigen Sarrazin-Porträts gewahrt bliebe. Sein Beleg: In einer E-Mail des RBB an die Produktionsfirma Lona Media vom 4. Juli, die SPIEGEL ONLINE auszugsweise vorliegt, heißt es unmissverständlich: "Das gesamte Material für die ARD-Sendung muss exklusiv sein!" Und weiter: Es dürfe "wirklich keine Überschneidungen, was Bilder, Interviews usw. betrifft, mit einem ZDF-Beitrag geben" und es dürfe "sich thematisch wirklich nichts mit der ARD-Doku doppeln".

Räuberpistole um geklaute Bänder

"Es gab für die Dokumentation zwei thematische Stränge: Zum einen das Thema 'Sarrazin privat' und zum anderen das Thema 'Sarrazin trifft die Objekte seiner Betrachtung'", so Demmer weiter zu SPIEGEL ONLINE. Mit dem "Aspekte"-Beitrag, der Sarrazin im Disput mit Kreuzbergern türkischer Herkunft zeigt, sei ein zentraler Aspekt der geplanten RBB-Doku nicht mehr exklusiv gewesen. "Damit war das ganze Thema für uns verbrannt", argumentiert Demmer.

Die Mitarbeiter der Produktionsfirma, die die Dokumentation mit Balci drehten, sahen das zunächst offenbar anders. "FAZ"-Mitherausgeber Frank Schirrmacher jedenfalls beschrieb in seiner Zeitung, dass er einen Anruf erhalten habe: Man müsse das Interview mit ihm, das Güner Balci für die Sarrazin-Doku des RBB geführt habe, leider wiederholen, weil das bereits abgedrehte Material gestohlen worden sei - diesmal aber ohne Balci, da die Zeit dränge. Eine Räuberpistole, wie Schirrmacher nach Rückfragen und Insistieren herausfand und wie die Produktionsfirma schließlich auch zugab: Die Geschichte vom Diebstahl der Videobänder sei eine "Notlüge" gewesen.

Sarrazin-Diskurs als permanente Notlüge?

"Offensichtlich gab es bei der Produktionsfirma zwischenzeitlich den Gedanken, man könne die Dokumentation nochmal ohne die Ko-Autorin Güner Balci drehen", kommentiert RBB-Sprecher Demmer den Vorgang. Von Senderseite aus habe man aber klar entschieden, dass die Produktion weder mit noch ohne Balci weiter verfolgt werden solle. Der RBB habe das Projekt "aus rein journalistischen Gründen" beendet, politische oder persönliche Motive hätten keine Rolle gespielt.

Schirrmacher dagegen interpretierte in der "FAZ" die Geschichte vom erfundenen Diebstahl als den Versuch, Güner Balci den Sarrazin-Film zu entziehen. Eine "hochbegabte Fernsehjournalistin und Schriftstellerin", die "seit langem schon im Fadenkreuz von Extremisten" stehe, werde jetzt "demontiert und isoliert". Der Fall sei charakteristisch für den medialen Umgang mit Sarrazin überhaupt: Der Diskurs in Sachen Sarrazin laufe Gefahr, sich "allmählich zu einer Kommunikation der permanenten Notlüge" zu entwickeln. "Die Wahrheit heißt: Man ist restlos überfordert." Auch die "Welt" mutmaßte, "dass am Ende doch politische Erwägungen für den Entzug des Projekts ausschlaggebend waren", und die "Bild" titelte schlicht "Skandal um Sarrazin-Film".

Steile Thesen - die allerdings übergehen, dass es im Sendergeschäft üblich und selbstverständlich ist, auf Exklusivität zu bestehen, wenn es um brisante Themen und Figuren geht - um so mehr, wenn die Autoren selbst eine gewisse Prominenz haben.

In dieser Hinsicht stärkt die bereits zitierte E-Mail des RBB die Position des Senders: Offenbar gab es seitens der Berliner TV-Anstalt eine klare Ansage gegenüber der Produktionsfirma, in deren Auftrag Balci gearbeitet hat. Die Autorin selbst sagte allerdings der "FAZ", nichts von schriftlichen oder mündlichen Absprachen über Exklusivität gewusst zu haben. Balci war für SPIEGEL ONLINE nicht zu erreichen - auch die Produktionsfirma Lona Media wollte sich nicht zu dem Vorgang äußern.

Mit Material von dpa

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