Am vergangenen Mittwoch veröffentlichte Stefan Niggemeier in seinem Blog unter dem Titel "stern.de: Anatomie einer Attrappe" eine Analyse des redaktionellen Angebots des Nachrichtenportals aus dem Hause Gruner+Jahr. Heraus kam ein ernüchterndes Ergebnis: An dem beobachteten Tag veröffentlichte Stern.de 367 Artikel, wovon nach Niggemeiers Aufschlüsselung am Ende jedoch nur acht Artikel wirklich eigenständige Beiträge waren. Alles andere waren Agenturmeldungen, Videos oder Bilderstrecken - bestückt mit Agenturmaterial.

Die Analyse sorgte in den vergangenen Tagen für Beifall - aber auch Kritik. Und das schon bevor sich am Freitag Stern.de-Chefredakteur Frank Thomsen in einem Interview mit den Kollegen von Meedia rechtfertigte und Niggemeiers Kritik zurückwies. So wurde vereinzelt etwa in den Kommentaren unter Niggemeiers Blogeintrag bemängelt, dass die alleinige Beobachtung von Stern.de einen unvollständigen Eindruck wiedergebe, da es bei vielen weiteren Nachrichtenseiten im Internet nicht anders aussehe. Ähnlich argumentiert jetzt auch Stern.de-Chef Thomsen im Meedia-Interview.

"Wenn man sich Tageszeitungen und andere Websites anguckt, stellt man fest, dass sie mit Agenturen arbeiten, das ist trivial", sagt er und ergänzt: "In der Online-Welt gibt es überall Newsticker." Obwohl das Interview damit erst beginnt und noch mehrere Fragen und Antworten folgen, offenbart allein dieses Statement von Thomsen zusammen mit Niggemeiers Analyse das große Dilemma des Online-Journalismus: Die Austauschbarkeit der Portale. Was Stern.de-Chef Thomsen für eine geeignete Rechtfertigung hält, ist in Wahrheit das große Problem.

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Wie tief muss man gesunken sein, wenn man die fehlende eigene Leistung mit einer lapidaren Antwort a la "Die anderen machen es auch nicht anders" rechtfertigt? Und wie blind ist eine ganze Branche, dass sie nicht erkennt, was ihr hier vor Augen geführt wird. Vielleicht weil es bequemer ist. Weil die unausweichliche Wahrheit bedeutet, dass sich die Vielzahl der deutschen General Interest-Nachrichtenportale nicht rechnen kann, weil sie niemand braucht. Natürlich glauben das die Verlage hinter den Angeboten. Weil sie sich als Rückgrat des Online-Journalismus sehen.